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Scheinselbständigkeit: Checkliste, Kriterien und Gerichtsurteile

Unzählige, immer wiederkehrende Urteile und Fragen zur Scheinselbständigkeit zeigen, dass dieses Thema keinesfalls gelöst, geschweige denn seine praktische Bedeutung verloren hat. Im Laufe der Zeit widmeten sich schon mehrere Gesetzesvorhaben der Bekämpfung von Scheinselbständigkeit. Man kann also durchaus von einem Klassiker im Sozialversicherungsrecht Deutschlands sprechen.  Trotz der erweiterten Haftung des Auftraggebers bei falscher Beurteilung des Vertragsverhältnis finden die Betriebsprüfer der Deutschen Rentenversicherung immer wieder eklatante Fälle zur Umgehung der Sozialversicherungspflicht. Gleichzeitig muss man jedoch auch feststellen, dass die notwendige Abgrenzung zwischen Selbständigkeit und anhängiger Beschäftigung im Einzelfall durchaus schwierig sein kann. Dennoch trägt der Auftraggeber hierfür die Verantwortung.

Inhalt:

  1. Checkliste zur Abgrenzung zwischen Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung
  2. Kriterien zur Abgrenzung zwischen Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung
  3. Abgrenzungskriterien in der Rechtsprechung der Sozialgerichte
  4. Statusfeststellungsverfahren immer sinnvoll und empfehlenswert
  5. Kosten eines Statusfeststellungsverfahrens
  6. Vertragspartner gehen übereinstimmend von Selbständigkeit aus
  7. Automatisch scheinselbständig mit einem Auftraggeber
  8. Scheinselbständigkeit trotz mehrerer Auftraggeber
  9. GmbH-Gründung als Ausweg/Lösung
  10. Beschäftigung eines versicherungspflichtigen Arbeitnehmers
  11. Verteilung der Haftungsrisiken zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer
  12. Kündigungsfrist für freie Mitarbeiter

Checkliste und FAQ zur Scheinselbständigkeit

Zahlreiche Gesetzesänderungen, Mythen und Geschichten rund um das Thema Scheinselbständigkeit haben die Abgrenzung zwischen Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung nicht einfacher gemacht. Neben dem Gesetzgeber ist aber auch die Deutsche Rentenversicherung dafür verantwortlich, dass bei den Unternehmen in der Praxis so viel Unsicherheit besteht.

Die weit verbreitete Blauäugigkeit zum Thema Scheinselbständigkeit ist inzwischen (zumindest bei den größeren Unternehmen) am Bröckeln „nackter Panik“ gewichen. Der schnelle Griff zum sog. „Freier-Mitarbeiter-Vertrag“ aus dem Internet erfolgt nicht mehr ganz so häufig und unüberlegt. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass die vermeintliche „Win-Win-Kooperation“ zwischen Auftraggeber und willigem Auftragnehmer ohne fachmännische Beratung existenzbedrohende Risiken mit sich bringt. Die Telekom ist nur eines der Unternehmen, das sich in den letzten Jahren von unzähligen „freien Mitarbeitern“ getrennt hat.

Was viele Unternehmer und Freiberufler nicht wissen (oder nicht wissen wollen), ist die Frage der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht für selbständige Unternehmer

  • in bestimmten Berufsgruppen oder
  • mit nur einem Auftraggeber.

Letzteres hängt häufig mit dem Problem der Scheinselbständigkeit zusammen und muss immer gemeinsam betrachtet und gelöst werden.

Nachfolgend habe ich die häufigsten Fragen zur Scheinselbständigkeit zusammengestellt, denen ich im Gespräch mit Existenzgründern und jungen selbständigen Unternehmern immer wieder begegne. Natürlich ersetzen die entsprechenden Antworten und Hinweise niemals eine Analyse der Sach- und Rechtslage im Einzelfall, die in vielen Fällen schon im Rahmen einer einstündigen Erstberatung geklärt werden kann.

1. Gibt es eine Checkliste oder einen Katalog von Kriterien zur Abgrenzung zwischen Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung?

Eine allgemeingültige Checkliste mit wenigen Kriterien zur Abgrenzung zwischen Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung gibt es leider nicht (mehr). Auch ein gesetzlich definierter Katalog mit Abgrenzungskriterien gehört der Vergangenheit an. Dennoch ist darauf hinzuweisen, dass die Abgrenzung ganz zentral von

  • der Weisungsbefugnis des Auftraggebers und
  • der Eingliederung in dessen Arbeitsorganisation abhängig ist.

Als ergänzendes neues Kriterium hat das Bundessozialgericht (Az. B 12 R 7/15 R) kürzlich die Höhe der Vergütung des Auftragnehmers eingeführt. Weiterhin ist zu bemerken, dass auch ein Auftragnehmer mit nur einem Auftraggeber selbständig tätig sein kann (was jedoch in vielen Fällen zur Rentenversicherungspflicht führt).

Bis zum Inkrafttreten der Gesetzesnovelle des Sozialgesetzbuchs 2003 bestand gem. § 7 Abs. 4 SGB IV eine Vermutungsregelung dahingehend, dass eine Scheinselbständigkeit anzunehmen war, wenn mindestens drei der folgenden fünf Kriterien erfüllt waren:

  1. Tätigkeit im Wesentlichen und auf Dauer (rund 5/6 des Umsatzes) für einen Auftraggeber;
  2. Auftragnehmer beschäftigt selbst keine sozialversicherungspflichtigen Mitarbeiter;
  3. Auftraggeber lässt entsprechende Tätigkeiten regelmäßig durch eigene abhängig beschäftigte Arbeitnehmer verrichten;
  4. Beim Auftragnehmer sind keine unternehmertypischen Merkmale zu erkennen;
  5. Tätigkeit entspricht ihrem äußeren Erscheinungsbild nach der Tätigkeit, die vorher für denselben Auftraggeber in einem Beschäftigungsverhältnis ausgeübt wurde.

Die Regelung in § 7 Abs 4 SGB IV wurde jedoch mit Wirkung ab 01.07.2009 ersatzlos gestrichen. Zur Abgrenzung zwischen Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung muss man daher (wieder) auf die allgemeinen Grundsätze, die Rechtsprechung der Sozialgerichte und Rundschreiben der Sozialversicherungsträger (04-2010) zurückgreifen.

Die Sozialgerichte entscheiden anhand einer Vielzahl von Kriterien, wie sie sich aus den vertraglichen Vereinbarungen und unter Berücksichtigung der tatsächlichen Durchführung ergeben. Hierbei kommt es darauf an, welche Merkmale quantitativ und qualitativ überwiegen. Diesbezüglich haben die o.g. Kriterien natürlich nach wie vor ihre Bedeutung in der praktischen Rechtsanwendung.

2. Welche Kriterien sind bei der Abgrenzung zwischen Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung von Bedeutung?

Eine selbständige Tätigkeit zeichnet sich regelmäßig dadurch aus, dass der Auftragnehmer über

  • die eigene Arbeitszeit,
  • den Arbeitsort und
  • die Art und Weise der Ausübung

frei entscheiden kann und keinen Weisungen des Auftraggebers unterliegt. Der selbständige Unternehmer oder Freiberufler arbeitet immer auf eigenen Namen und auf eigene Rechnung und trägt das wirtschaftliche Risiko seiner Tätigkeit.

Eine vertraglich begründete Weisungsbefugnis des Auftraggebers hinsichtlich Arbeitsort, Arbeitszeit und/oder Benutzung bestimmter Arbeitsmittel (Fahrzeuge, EDV, Werkzeuge) hat bei der Abgrenzung eine sehr hohe Bedeutung. Umfangreiche Weisungsbefugnisse sprechen regelmäßig für eine abhängige Beschäftigung des Auftragnehmers mit entsprechender Sozialversicherungspflicht. Ist der Auftragnehmer darüber hinaus (wie andere Arbeitnehmer) in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingegliedert, liegt regelmäßig keine selbständige Tätigkeit vor.

Folgende Indizien sprechen dagegen für eine abhängige Beschäfigung:

  • Vertragliche Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung während bestimmter Arbeitszeiten an einem bestimmten Ort;
  • Hinweise auf eine Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers;
  • Feste monatliche Vergütung unabhängig von der Arbeitsleistung oder den Arbeitsergebnissen;
  • Vertragliche Verpflichtung zu umfangreichen Dokumentationspflichten hinsichtlich der Arbeitszeiten und Arbeitsergebnisse;
  • Fortzahlung der Vergütung im Krankheitsfall und/oder Anspruch auf Urlaub.

Auch wenn die Beurteilung der Tätigkeit in erster Linie und vorrangig auf Basis der tatsächlichen Verhältnisse erfolgt, liefert der Wortlaut des Vertrages zwischen Auftraggeber und -auftragnehmer (z.B. Freier-Mitarbeiter-Vertrag) schon wesentliche Indizien. Eine vertragliche Vereinbarung ist jedoch unabhängig von der Bezeichnung niemals geeignet, die tatsächlichen Verhältnisse zu ersetzen. Besteht eine Diskrepanz zwischen vertraglicher Vereinbarung und tatsächlichen Verhältnisse, gehen letztere vor.

Werden die betreffenden Personen

  • in den Betriebsräumen und mit Betriebsmitteln des Auftraggebers sowie
  • zu vertraglich festgelegten (ober branchenüblichen) Arbeitszeiten

für diese tätig, liegt die Annahme einer Scheinselbständigkeit schon sehr nahe. Enthält der Vertrag dann noch weitere arbeitnehmertypische Regelungen, lässt sich die Vermutung einer Scheinselbständigkeit nur noch sehr schwer widerlegen.

3. Erfolgt die Abgrenzung der Selbständigkeit von abhängiger Beschäftigung in der Rechtsprechung nach anderen/festen Kriterien?

In der Rechtsprechung der Sozialgerichte findet man regelmäßig folgende Ausführungen zur Abgrenzung zwischen Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung:

1. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer (abhängigen) Beschäftigung ist die gesetzliche Regelung in § 7 Abs. 1 SGB IV in seiner bis heute unverändert geltenden Fassung. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt.“

2. Eine selbstständige Tätigkeit ist vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.

3. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung. Entscheidend ist, welche Merkmale überwiegen.

4. Ausgangspunkt ist (zunächst) das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt.

5. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der formellen Vereinbarung nur insoweit vor, wie eine formlose Abbedingung rechtlich möglich ist.

4. Ist ein (nachträgliches) Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung sinnvoll und empfehlenswert?

Immer wieder kontaktieren mich angehende Existenzgründer, aber auch erfahrene Unternehmer oder Freiberufler mit der Frage, ob ein (nachträgliches) Statusfeststellungsverfahren bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung zur Klärung einer Scheinselbständigkeit sinnvoll und empfehlenswert ist.

In den meisten Fällen suchen die Aufttraggeber nach Rechtssicherheit, nicht selten auch erst nach jahrelangem Bestehen des Vertragsverhältnisses. Das mag auf eigener Risikoeinschätzung beruhen oder auf Initiative des Steuerberaters oder einer Rechtsabteilung des Auftraggebers.

Ob der Antrag auf Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens sinnvoll und empfehlenswert ist, kann nur für jeden Einzelfall (sprich Auftrag) und nach sorgfältiger Analyse des Vertrages und dessen tatsächlicher Durchführung erfolgen. Ohne fachmännische Analyse und Beratung können sich für beide Seiten überraschende Feststellungen ergeben, aus denen wiederrum existenzbedrohende Beitragsnachforderungen für den Auftraggeber entstehen können.

Das gilt erst recht, seitdem die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung offensichtlich dazu tendiert, immer mehr Vertragsverhältnisse als abhängige Beschäftigung einzuordnen. Und selbst wenn eine Selbständigkeit des Auftragnehmers bejaht wird, droht in vielen Fällen eine (rückwirkende) Rentenversicherungspflicht wegen arbeitnehmerähnlicher Selbständigkeit im Sinne des § 2 SGB VI.

5. Wie hoch sind die Kosten eines Statusfeststellungsverfahrens bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung?

Für das Statusfeststellungsverfahren bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung selbst entstehen keine Kosten.

6. Ist es von Bedeutung, dass die Vertragspartner übereinstimmend von selbständiger Tätigkeit ausgehen?

Nein. Entscheidend ist, wie das Vertragsverhältnis in der täglichen Praxis gelebt wird. Die Abgrenzung zwischen Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung erfolgt anhand einer Vielzahl von Kriterien, die sich im Laufe der Jahre herausgeprägt haben. Neben den bereits o.g. Kriterien lassen sich noch folgende ergänzend anführen:

  • Vertragliches Verbot zum Einsatz eigener Beschäftigter;
  • Vertragliche Ausschließlichkeitsklausel, wonach der Auftragnehmer nur für den Auftraggeber tätig werden darf;
  • Auftraggeber stellt dem Auftragnehmer wichtige Produktions- oder Arbeitsmittel zur Verfügung, ggf. verbunden mit der vertraglichen Regelung, nur diese einzusetzen;
  • Vergütung des Auftragnehmers erfolgt unabhängig vom Zeiteinsatz oder vom Arbeitsergebnis als festes Gehalt, ohne dass eine deutliche Besserstellung gegenüber anderen abhängig Beschäftigung zu erkennen ist.
  • Vertragliche Urlaubsregelung oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall;
  • Vertragliche oder tatsächliche Bestimmung eines Team- oder Abteilungsleiters mit Weisungsbefugnissen gegenüber dem Auftragnehmer;
  • Auftragnehmer besitzt keine eigene Betriebsstätte;
  • Umfangreiche und regelmäßige Berichtspflichten des Auftragnehmers.

Es ist jedoch keineswegs so, dass die genannten Kriterien gleichwertig nebeneinander stehen. Vielmehr ist eine quantitative und qualitative Abwägung der Kriterien im Einzelfall vorzunehmen, zumal einzelne Kriterien bei bestimmten Berufen naturgemäß nicht vorliegen.

7. Bin ich mit einem Auftraggeber automatisch scheinselbständig?

Nein, vgl. hierzu aber meinen Artikel zur Rentenversicherungspflicht für Selbständige mit nur einem Auftraggeber.

8. Mehrere Auftraggeber schützen nicht vor Scheinselbständigkeit

Die Deutsche Rentenversicherung prüft jedes Vertragsverhältnis zwischen Auftaggeber und Auftragnehmer gesondert daraufhin, ob die Kriterien für eine Selbständigkeit oder eine abhängige Beschäftigung überwiegen. Ein vermeintlich selbständiger Unternehmer kann sogar in mehreren Unternehmen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein, wenn die entsprechenden Kriterien für eine abhängige Beschäftigung überwiegen.

9. Eine UG haftungsbeschränkt oder GmbH ist nicht geeignet, eine Scheinselbständigkeit auszuschließen oder zu beenden

Die Deutsche Rentenversicherung und auch die Sozialgerichte beurteilen das Vertragsverhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer im Zweifel so, als ob keine GmbH dazwischen geschalten wäre.

In Kombination mit der Beschäftigung eines versicherungspflichtigen Arbeitnehmers kann die Einschaltung einer GmbH jedoch durchaus sinnvoll sein, um ein lukratives Beschäftigungsverhältnis mit dem Auftraggeber aufrechtzuerhalten. Vor der Gründung einer GmbH muss jedoch vertraglich sichergestellt sein, dass dieses mit ähnlichen Vertragsbedingungen über eine gewisse Laufzeit fortgeführt wird.

10. Ist die Annahme einer Scheinselbständigkeit bei Beschäftigung eines versicherungspflichten Arbeitnehmers ausgeschlossen?

Nein. Die Beschäftigung eines versicherungspflichtigen Arbeitnehmers ist „alleine“ nicht geeignet, eine abhängige Beschäftigung in einem Unternehmen in eine selbständige Tätigkeit umzuwandeln. Nichtsdestotrotz wird die versicherungspflichtige Beschäftigung eines Arbeitnehmers als starkes Indiz für eine Selbständigkeit angesehen.

Bei Beschäftigung eines versicherungspflichtigen Arbeitnehmers ist gem. § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI jedoch die Rentenversicherungspflicht für Selbständige mit einem Aufttraggeber ausgeschlossen. Damit ist immerhin das Hauptrisiko der meisten von Scheinselbständigkeit bedrohten Auftragnehmer vom Tisch (vgl. unten unter 11.). Das gilt aber erst ab dem Zeitpunkt der Beschäftigung eines versicherungspflichtigen Arbeitnehmers. Dies kann auch ein Familienangehöriger sein.

11. Besteht beim Auftragnehmer auch ein Haftungsrisiko im Falle einer Scheinselbständigkeit?

Ja, auch wenn dieses im Vergleich zum Haftungsrisiko des Auftraggebers ungleich niedriger ist.

Während der vermeintliche Auftraggeber grundsätzlich bis zu 4 Jahre rückwirkend für die gesamten Sozialversicherungsbeiträge (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile) haftet, kann er den Arbeitnehmer gem. § 28 g SGB IV nur für einen Teilbetrag (3 Monatsbeiträge) in Regress nehmen. Bei vorsätzlicher Nichtentrichtung der Sozialversicherungsbeiträge verlängert sich die rückwirkende Haftung des Auftraggebers sogar auf bis zu 30 Jahre. Neben den Sozialversicherungsbeiträgen fallen regelmäßig noch Säumniszuschläge an.

Schließt sich das Finanzamt der Einordnung des Vertragsverhältnisses als „abhängige Beschäftigung“ an, droht dem Auftraggeber sogar ein noch höherer Schaden. Hinsichtlich nicht abgeführter Lohnsteuer haftet er gegenüber dem Finanzamt gesamtschuldnerisch mit dem Arbeitnehmer. Die zu Unrecht abgezogene Vorsteuer aus den Rechnungen des Arbeitnehmers kann ebenfalls von ihm zurückgefordert werden.

Nicht zuletzt drohen dem Auftraggeber bei vorsätzlicher Nichtentrichtung der Sozialversicherungsbeiträge weitreichende strafrechtliche Konsequenzen, insbesondere hohe Bußgelder.

Nach meinen Erfahrungen besteht das größte Risiko des vermeintlich selbständigen Auftragnehmers darin, dass er jederzeit mit der vollständigen Beendigung des Vertragsverhältnisses rechnen muss, spätestens mit der Feststellung der Scheinselbständigkeit durch die Deutsche Rentenversicherung. Dann ist schnelles und überlegtes Handeln gefordert.

Bejaht die Deutsche Rentenversicherung die Selbständigkeit des Auftragnehmers, muss dieser damit rechnen, dass eine Anschlussprüfung hinsichtlich der Rentenversicherungspflicht für Selbständige gem. § 2 SGB VI erfolgt. Hiernach unterliegen bestimmte Berufsgruppen und Selbständige mit nur einem Auftraggeber einer Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung. Liegt ein solcher Fall vor, müssen die Rentenversicherungsbeiträge für das laufende und die letzten 4 Jahre nachgezahlt werden, zuzüglich Säumniszuschläge. Anders als bei der Scheinselbständigkeit trifft diese Beitragsnachforderung den selbständigen Auftragnehmer.

12. Gibt es für freie Mitarbeiter auch eine Kündigungsfrist?

Bei der Frage nach der Kündigungsfrist für einen freien Mitarbeiter ist zunächst ein Blick in den Vertrag hilfreich. Gibt es dort eine Vereinbarung zur Kündigung des Vertrages, bestimt sich die Kündigungsfrist nach dieser Regelung.

Anderenfalls gilt die gesetzliche Regelung in § 621 Nr. 3 BGB, die für ein Dienstverhältnis (das kein Arbeitsverhältnis i.S.d. § 622 BGB ist) sehr kurze Kündigungsfristen vorsieht. Wenn die Vergütung nach Tagen bemessen ist, ist die Kündigung an jedem Tag für den Ablauf des folgenden Tages zulässig. Wenn die Vergütung nach Monaten bemessen ist, ist die Kündigung spätestens am 15. eines Monats für den Schluss des Kalendermonats zulässig.

Erstberatung in Sachen Scheinselbständigkeit

Mit dem nachfolgenden Formular können Sie Kontakt zu mir aufnehmen und Ihr Anliegen kurz schildern. In den meisten Fällen lässt sich die Sach- und Rechtslage im Rahmen einer einstündigen, telefonischen Erstberatung klären.

Aktualisiert am 16.08.2019

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