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Zwingende Gründe für Beendigung der Selbstnutzung des Familienheims

Mit Urteil vom 01.12.2021 hat der BFH „zwingende Gründe“ definiert, die eine vorzeitige Beendigung der Selbstnutzung des Familienheims rechtfertigen. Liegen zwingende Gründe in diesem Sinne nicht vor, fällt die Steuerbefreiung für den Erwerb des Familienheims im Rahmen der Erbschaftssteuer gem. § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG mit Wirkung für die Vergangenheit (wieder) weg, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von 10 Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt.

Inhalt:

  1. Steuerbefreiung des Familienheims im Rahmen der Erbschaftssteuer
  2. Wegfall der Steuerbefreiung des Familienheims
  3. Zwingende Beendigung der Selbstnutzung des Familienheims
  4. Unschädliche Veräußerung oder Abriss des Familienheims
  5. Feststellungslast für zwingende Gründe bei vorzeitiger Beendigung der Selbstnutzung des Familienheims

1. Steuerbefreiung des Familienheims im Rahmen der Erbschaftssteuer

Befindet sich eine Immobilie im Nachlaß des Erblassers, kann der Erwerb von Todes wegen in den Grenzen des § 13 Abs. 1 Nr. 4c S. 1 ErbStG von der Erbschaftssteuer befreit sein.

Erben die Kinder oder die Kinder verstorbener Kinder (Enkel) die vom Erblasser selbst bewohnte Immobilie (Familienheim), ist dieser Erwerb von Todes von der Erbschaftssteuer befreit, soweit diese beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist. Steuerfrei bleibt der Erwerb von Todes wegen allerdings nur insoweit, wie die Wohnfläche der Immobilie 200 qm nicht überschreitet. Der Wert des Familienheims spielt dagegen keine Rolle. Es handelt sich um eine sachliche Steuerbefreiung, die auf den persönlichen Freibetrag und den Versorgungsfreibetrag des Erwerbers im Rahmen der Erbschaftssteuer nicht angerechnet wird.

Nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c S. 1 ErbStG bleibt steuerfrei u.a. der Erwerb von Todes wegen des Eigentums an einem im Inland belegenen bebauten Grundstück i.S. des § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG durch Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2, soweit der Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder bei der er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war, die beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist (Familienheim) und soweit die Wohnfläche der Wohnung 200 m² nicht übersteigt.

Dies gilt vorbehaltlich der Einschränkungen in § 13 Abs. 1 Nr. 4c S. 2 bis 4 ErbStG (zur Grundstücksdefinition vgl. Urteil des BFH vom 23.02.2021 (II R 29/19); zur Bestimmung zur Selbstnutzung vgl. BFH-Urteil vom 06.05.2021 (II R 46/19).

BFH, Urteil vom 01.12.2021, II R 18/20

2. Wegfall der Steuerbefreiung des Familienheims

Allerdings fällt die Steuerbefreiung für den Erwerb des Familienheims gem. § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG mit Wirkung für die Vergangenheit (wieder) weg, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von 10 Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt.

Nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c S. 5 ErbStG fällt die Steuerbefreiung mit Wirkung für die Vergangenheit weg, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von 10 Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt, es sei denn, er ist aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert (sog. Nachversteuerungstatbestand (vgl. BFH-Urteil vom 11.07.2019, II R 38/16).

BFH, Urteil vom 01.12.2021, II R 18/20

3. Zwingende Beendigung der Selbstnutzung des Familienheims

Ausgenommen sind die Fälle, in denen der Erwerber aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert ist. Die Steuerbefreiungsvorschrift ist eng auszulegen. Damit begegnet sie keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BFH-Urteil vom 29.11.2017, II R 14/16). Entsprechendes gilt für die in § 13 Abs. 1 Nr. 4c S. 5 ErbStG geregelte Rückausnahme von der Nachversteuerung.

Gemäß Urteil des BFH vom 01.12.2021 (II R 18/20) ist der Erwerber eines erbschaftsteuerrechtlich begünstigten Familienheims nur dann „aus zwingenden Gründen an dessen Nutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert, wenn die Selbstnutzung objektiv unmöglich oder aus objektiven Gründen unzumutbar ist. Gesundheitliche Beeinträchtigungen oder eine Pflegebedürftigkeit können solche zwingende Gründe darstellen, wenn sie dem Erwerber eine selbständige Haushaltsführung in dem erworbenen Familienheim unmöglich machen. Es reicht jedoch nicht aus, wenn sich der Erwerber nur aufgrund persönlicher oder wirtschaftlicher Zweckmäßigkeitserwägungen an der Selbstnutzung gehindert fühlt.

Aus den Entscheidungsgründen des BFH-Urteils vom 01.12.2021

In dem Merkmal „aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert“ müssen sich die Hinderungsgründe auf die Selbstnutzung des betreffenden Familienheims beziehen. Ob der Erwerber an einem anderen Ort einen Haushalt führen kann, ist nicht entscheidend. Der Senat teilt nicht die Auffassung, die Unmöglichkeit, selbständig einen Haushalt zu führen, müsse sich auf das Führen eines eigenen Haushalts schlechthin (d.h. auch an einem anderen Ort als in dem erworbenen Familienheim) beziehen (so die Urteile des FG Münster vom 31.01.2013, 3 K 1321/11 Erb und vom 10.12.2020, 3 K 420/20 Erb; offengelassen im Urteil des Hessischen FG vom 10.05.2016, 1 K 877/15.

Zwingende Gründe liegen vor, wenn dem Erwerber die Selbstnutzung des Familienheims objektiv unmöglich wird, sie sind jedoch nicht auf diese Fälle beschränkt. Andernfalls erschöpfte sich der Anwendungsbereich der Rückausnahme praktisch im Tod des Erwerbers. Eine solche Regelung war ersichtlich nicht gesetzgeberisches Ziel.

Der Fall der Pflegebedürftigkeit, der im Gesetzgebungsverfahren als Beispiel diente und auch von der Finanzverwaltung übernommen wurde (R E 13.4 Abs. 6 Satz 9 sowohl der ErbSt-Richtlinien 2011 vom 19.12.2011, als auch der ErbSt-Richtlinien 2019 vom 16.12.2019), begründet regelmäßig keine objektive Unmöglichkeit. Die Pflege kann im Allgemeinen auch mit Hilfe entsprechender Dienste im eigenen Heim durchgeführt werden. Ob dies wirtschaftlich sinnvoll ist, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit.

Ein zwingender Grund kann jedoch vorliegen, wenn die Notwendigkeit externer Hilfe- und Pflegeleistungen ein solches Ausmaß annehmen, dass nicht mehr von einer selbständigen Haushaltsführung des Erwerbers in dem betreffenden Familienheim gesprochen werden kann. Allein die regelmäßige Inanspruchnahme der üblichen Unterstützungsleistungen genügt dafür allerdings nicht. Auch allein der bauliche Zustand des Gebäudes kann keinen zwingenden Grund für die Aufgabe der Selbstnutzung darstellen.Vermag der Erwerber diesen Lebensraum nicht mehr aus im Wesentlichen eigener Kraft auszufüllen, ist das Familienheim zur äußeren Hülle entwertet.

BFH, Urteil vom 01.12.2021, II R 18/20

4. Unschädliche Veräußerung oder Abriss des Familienheims

Ist die Beendigung der Selbstnutzung des Familienheims aus den oben dargestellten zwingenden Gründen erbschaftsteuerrechtlich unschädlich, muss dies auch (als Annex) für eine spätere Veräußerung oder einen späteren Abriss gelten. Wenn der Schutzzweck des § 13 Abs. 1 Nr. 4c S. 1 ErbStG aus zwingenden Gründen nicht mehr erfüllt werden kann, hat die Entäußerung des Familienheims keine Bedeutung mehr.

5. Feststellungslast für zwingende Gründe bei vorzeitiger Beendigung der Selbstnutzung des Familienheims

Der Erwerber trägt die Feststellungslast für diejenigen Umstände, die eine Selbstnutzung des Familienheims objektiv unmöglich machen oder aus objektiven Gründen unzumutbar erscheinen lassen.

Zwingende Gründe für Beendigung der Selbstnutzung des Familienheims
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